Prof. Dr. Paul Baltes

Direktor des MPI für Bildungsforschung


On Culture and Society – If the Flame of Basic Research Burns Out

Als Schlüsselfrage möchte Prof. Baltes in seinem Vortrag diskutieren, inwieweit die Organisationsstrukturen der Wissenschaft in Deutschland heutigen Erfordernissen gerecht werden. Es kann festgestellt werden, daß trotz der gegenwärtigen Unzufriedenheit vor allem über die Forschungsförderung die allgemeine Akzeptanz von Wissenschaft in Deutschland generell hoch ist. Dies gilt auch für die Geisteswissenschaften - ein Indiz dafür, daß die Gewinne aus wissenschaftlicher Arbeit über wirtschaftliche Produktivität hinausgehen: Erziehung, Werte, Kultur. Die allgemeine Akzeptanz und Hochachtung der Wissenschaften gerät jedoch zunehmend unter Druck, etwa hinsichtlich der öffentlichen Aufmerksamkeit für die Gefahren und Risiken neuer Technologien wie z.B. Biotechnologie oder Kernspaltung, aber auch durch den zunehmenden Druck wirtschaftlicher Aspekte, der im Verhalten von Wissenschaftlern eine wachsende Rolle spielt. Es ist weniger ein generelles Mißtrauen als vielmehr die (berechtigte) Kritik am Verhalten des einzelnen Wissenschaftlers und vor allem die Nutzung wissenschaftlicher Ergebnisse in der praktischen Anwendung. Der Wandel in der Rolle, die die Wissenschaften in der modernen Gesellschaft spielen, kann im Kontext von vier Bereichen beschrieben werden:

  • die zunehmende Differenzierung und Spezialisierung von wiss. Institutionen auf Kosten einer integrativen Koordination,
  • die Demokratisierung der Wissenschaften,
  • die Globalisierung und
  • die Verzögerung von individueller Eigenständigkeit und Produktivität in vielen Lebensbereichen.

Prof. Baltes argumentiert, daß in diesem Zusammenhang neben Politik und Wirtschaft auch die Wissenschaft selbst eine erhebliche Bringschuld zur Reorganisation ihrer Organisationstruktur hat. Dazu hält er die Bildung zweier neuer Institutionen für sinnvoll: Zum einen solle eine nationale Akademie der Wissenschaften gegründet werden, die als wesentlichste Zielsetzungen die Integration und Förderung der verschiedenen Arten von Wissenschaft auf dem bestmöglichen Qualitätniveau und die Entwicklung einer internationalen Stimme der deutschen Wissenschaft haben sollte. Zum anderen sollte ein nationaler Forschungsrat geschaffen werden, dessen Hauptaufgabe das Wirken als interaktives und moderierendes Instrument zwischen Wissenschaft, Politik, Industrie und Gesellschaft sein sollte. Die Bildung dieser Institutionen, für die spezifische Vorschläge gemacht werden, soll der Wissenschaft erlauben, ihre Energien effizienter und proaktiver zu nutzen, in Wechselwirkung mit dem öffentlichen, politischen und industriellen Diskurs über kulturelle und technische Evolution. Über diese spezifischen Vorschläge hinaus müssen weitere Wege und Mittel erkundet werden, den vorherrschenden Bedenken hinsichtlich der Organisation der deutschen Wissenschaft entgegenzuwirken.

Im Anschluß an den Vortrag fragt die Moderatorin, Frau Prof. Schipanski, ob Prof. Baltes die von ihm geforderte 1) nationale Akademie der Wissenschaften und 2) den nationalen Forschungsrat zusätzlich zur bestehenden Wissenschaftsorganisation eingerichtet sehen möchte oder welche der heutigen Organisationen dafür "sterben" sollten. Prof. Baltes regt an, daß die vorhandenen Organisationen versuchen sollten, selbst die bestehende Struktur in Richtung auf die neuen Anforderungen zu ändern. Wenn dies nicht gelänge, sollte man die alten Strukturen sterben lassen, nicht jedoch aktiv abschaffen. Ein Forschungsrat, der alle gesellschaftlichen Kräfte vereinige und so zur Demokratisierung der Wissenschaften beitrage, sei seines Erachtens jedoch unabdingbar, um zweitklassige Lösungen zu vermeiden. Der derzeitige Technologierat sei eine derart zweitklassige Lösung. Dieses Themenfeld wird anschließend intensiv diskutiert.