Prof. Dr. Hubert Markl

Präsident der Max-Planck-Gesellschaft


Basic Research, Applied Research: The Misleading Dichotomy

Forschung erfüllt ein tiefes Bedürfnis nach Wissen und ist angesichts einer wachsenden und älter werdenden Weltbevölkerung mit insgesamt steigenden Bedürfnissen notwendiger als je zuvor. Wissenschaft hat sich zu der Überlebenstechnik entwickelt, und nicht mehr nur die Interessen einer kleinen Minderheit, sondern aller Menschen sind heute und in absehbarer Zukunft abhängig vom weiteren Erfolg der Wissenschaften.

Um dieser Tatsache gerecht zu werden, kann Forschung nicht erst dann beginnen, wenn die eine oder andere Notwendigkeit drückt. Eine breite und tiefgehende Wissensbasis muß gepflegt werden, um bei Bedarf effizient reagieren zu können. Genau diese Wissensbasis vermittelt uns die Grundlagenforschung. Dabei macht es in der heutigen Zeit wenig Sinn, die Abgrenzung von fundamentaler Grundlagenforschung einerseits und angewandter Forschung andererseits voranzutreiben. Die Grundlagenforschung von heute kann schon morgen extrem angewandte Forschung sein - etwa im Fall eines seltenen Virus. Was zählt, ist anwendbare Forschung, die uns mit zuverlässigen Antworten auf interessante Fragen versorgt - und die im Falle der Grundlagenforschung zu einer bestimmten Zeit u.U. nur von einem begrenzten Kreis interessierter Forscher gestellt werden.

Die finanzielle Situation der Grundlagenforschung in Deutschland ist im Vergleich zu anderen industrialisierten Ländern immer noch akzeptabel, wenn auch eine Abnahme des FuE-Anteils am BIP um mehr als 20% erhebliche Probleme bereitet. Im folgenden berichtet Prof. Markl über die Rolle und die Anteile der verschiedenen inner- und außeruniversitären Einrichtungen der Forschungsförderung, von der DFG bis zur FhG. Anschließend geht er detaillierter auf die vorhandenen und die potentiellen, überwiegend negativen Auswirkungen des steilen Rückganges in FuE-Investitionen ein. In Politik und Gesellschaft fehlt zunehmend Verständnis für die Notwendigkeit , in einer global einheitlicher werdenden und gleichzeitig konkurrierenden Welt ein hohes intellektuelles, kulturelles und ökonomisches Niveau aufrechtzuerhalten. Dies ist vor allem problematisch für die kommende Generation. Zum ersten Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte wendet sich die junge Generation zunehmend vom Studium der Natur- und Ingenieurwissenschaften ab, vor allem da auch hoch qualifizierte Absolventen keinen Arbeitsplatz finden.

Neuere Untersuchungen (Prof. Markl zitiert Robert M. May, The Scientific Wealth of Nations, SCIENCE) belegen, daß angesichts einer bisherigen Spitzenposition und einer immer noch intensiven finanziellen Förderung die deutsche Position im weltweiten Vergleich, gemessen u.a. anhand der relativen Zitierhäufigkeit, erhebliche Schwachstellen aufweist. Dafür sind der Verlust an intellektueller Kapazität in der Nazizeit mitverantwortlich, vor allem durch die Judenvertreibung, aber auch die Tatsache, daß Deutsch (wie Japanisch) eine vergleichsweise schwierig zu erlernende und weit weniger als Englisch verbreitete Sprache ist. Diejenigen Disziplinen, die im weltweiten Wettbewerb Schwierigkeiten haben, sollten empirisch von denjenigen lernen, in denen Deutsche exzellente Ergebnisse präsentieren.

Abschließend widerspricht Prof. Markl vehement zwei Büchern, die in der wissenschaftlichen Welt für Unruhe gesorgt haben. In "The End of Science" (1996) vertritt John Horgan die Meinung, daß wissenschaftliche Forschung daran leide, daß die wirklich fundamentalen Fragen weitgehend beantwortet seien. Gerade in der heutigen Zeit der rapiden Wissensvermehrung müsse man aber den Eindruck gewinnen, daß mehr wichtige Fragen als je zuvor zu lösen seien. In "The Economic Laws of Scientific Research" (1996) plädiert Terence Kealey, die öffentliche Förderung einzustellen und den marktwirtschaftlichen Kräften die Entscheidung zu überlassen. Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung dürfen aber nicht ausschließlich privatisiert und wirtschaftlichen Interessen untergeordnet werden, denn langfristig macht öffentlich geförderte und öffentlich zugängliche Forschung die Menschheit nicht nur reicher an Kosumgütern, sondern an etwas noch Wertvollerem: Reicher an Einsichten und Erkenntnissen, Weisheit und geistiger Befriedigung. Die Gesamtheit der Gesellschaft wird zudem nur profitieren können, wenn jedes ihrer qualifizierten Mitglieder freien Zugang zu einer forschungsorientierten Universitätsausbildung hat.